Das vorliegende Projekt hat das Ziel Künstliche Intelligenz (KI) für den deutschen Einzelhandel, insb. für kleine und mittelständische Unternehmen, massentauglich, wirtschaftlich sinnvoll einsetzbar zu machen und so einen Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbssituation zu leisten. Der Kernpunkt der Wettbewerbsbefähigung liegt dabei in den Aspekten Preis und Platzierung.Diese Aspekte sollen mithilfe von Methoden der KI optimiert werden. Neuartigen elektronischen Preisetiketten können Artikel auf der Ladenfläche automatisiert lokalisieren und die daraus gewonnen Daten, verknüpft mit bestehenden, fließen in ein KI-Modell zur optimalen Platzierung und Preissetzung ein. Neben einem Proof-of-Concept und der wissenschaftlichen Fundierung soll ein Softwareprototyp entstehen, welcher in Zusammenarbeit mit einem Handelsverband KMU-Händlern in der Breite verfügbar gemacht wird. So wird der stationäre Einzelhandel in NRW befähigt mit den fortschrittlichen Technologien der „reinen“ digitalen Händlern mitzuhalten.
Ausgangslage, Analyse und Herleitung der Projektidee
Der Handel in Deutschland ist einer der wichtigsten Wirtschaftssektoren und in 2018 erwirtschaftete die über 330.000 Unternehmen und mehr als 3,7 Millionen Beschäftigte über 500 Mrd. Euro Umsatz; dies entspricht 16 % des Bruttoinlandsprodukts[1][2]. Die Handelsunternehmen haben eine besondere regionale und lokale Verortung, denn Handelsunternehmen nehmen Zeit-, Raum-, Mengen- und Qualitätsüberbrückungsfunktionen zwischen Produktion und Konsumtion wahr[3]. Die mit dieser Funktionsübernahme reduzierten Transaktionskosten, die quasi die ökonomische Legitimation von Handelsunternehmen darstellen, werden in Zeiten der Digitalisierung möglicherweise besonders effizient von digitalen Plattformen erbracht, so dass Handelsunternehmen in ihrer Existenz bedroht werden[4]. Diese veränderte Wettbewerbssituation trifft besonders kleine und mittelständische Betriebe, so schätzt der Handelsverbandes Deutschland (HDE), dass „rund zehn Prozent der noch etwa 450.000 Handelsstandorte in Deutschland in den kommenden fünf bis zehn Jahren verschwinden [werden]“[5]. Neben dem Wettbewerbsvorteil die Transaktionskosten durch geringere Fixkosten, Skalen- und Plattformeffekte zu reduzieren, konnten die „reinen“ Onlinewettbewerber auch eine technologische Überlegenheit aufbauen. Die Stärke und die Abwesenheit eines echten Wettbewerbs in der Vergangenheit haben dazu geführt, dass die traditionell geringe Priorität im Einzelhandel für Prozessautomatisierung, analytische Optimierungsansätze und Datenanalysen nun zum entscheidenden Nachteil wird. Dabei ist die Verfügbarkeit der Daten über die Kunden und deren Kundenverhalten bei den Onlinewettbewerber seit Jahrzehnten realisiert und führt nun zu erheblichen Wettbewerbsvorteilen gegenüber traditionellen Handelsunternehmen. In der Folge sind neue Wettbewerber aktuell in vielen Warenbereichen den traditionellen Händlern beim Leistungsangebot und der Prozessunterstützung überlegen. Als Strukturierungsgrundlage der im Handel zu treffenden Entscheidungen im Allgemeinen bildet das Handelsmarketing als zentrales Konzept. Dieses umfasst dabei alle Prozesse der Analyse, Zielformulierung, Strategieauswahl, Zusammensetzung und Kontrolle des Marketing-Mixes in einem Handelsunternehmen und ist seit jeher eines der wichtigsten Tätigkeitsfelder im Einzelhandel[6]. Die zentralen Entscheidungen, die im Rahmen des Handelsmarketings zu treffen sind, ergeben sich aus den klassischen 4Ps von McCarthy (1960), die den Marketing-Mix in die vier Bereiche Price ( Preis), Product (Produkt), Placement (Platzierung) und Promotion (Werbung) untergliedern.
Das vorliegende Gemeinschaftsprojekt soll sich dabei auf die beiden, gerade für den stationären Handel, entscheidenden Komponenten fokussieren und eine Wettbewerbs- und Digitalisierungsperspektive aufzeigen: die Platzierung in der Filiale und das dazugehörige Preismanagement. Der Einsatz von Methoden den Künstlichen Intelligenz und der Maschinellen Lernens versprechen dabei, gerade aufgrund des hohen Anteils der manuellen Entscheidungsoperationen, im Handel besonders hohe Erfolgsaussichten[7].
Dabei ist im stationären Handel die Verfüg- und Erlebbarkeit der Waren das zentrale Alleinstellungsmerkmal und Wettbewerbsvorteil gegenüber „reinen“ Onlinehändlern.
Daher kommt dem Sortimentsaufbau (nicht zu verwechseln mit der zeitlogisch vorher durchgeführten Entscheidung über Zusammensetzung des Sortiments) und der Platzierung des einzelnen Artikels innerhalb der Filiale eine hohe Bedeutung zu.
Die Kernentscheidung bei der Platzierung in der Filiale im Einzelhandel stellt dabei die Überlegung dar, an welchem Ort innerhalb des verfügbaren Verkaufraums welche Produkte genau positioniert werden sollen.
Unter den Begriffen „Regalplatzoptimierung“ und „Store Layout Optimization“ sind heute in der Literatur und auch der Praxis eine große Anzahl von Untersuchungen, Studien und Lösungs-ansätzen bekannt. Ebenfalls haben einige (Software-)Anbieter solche Lösungen im Angebot. Allerdings liegt der Schwerpunkt sowohl in den wissenschaftlichen Untersuchungen als auch den ungesetzten Anwendungen auf der Optimierung von festen Regalstrukturen und eher statischen Sortimenten, wie sie vor allem im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) vorzufinden sind.
Dazu muss auch angemerkt werden, dass mit dem relativ starren Konstrukt der Regale und der zugleich Notwendigkeit im LEH die Platzierung über eine große Menge an gleichartig aufgebauten Filialen durchzusetzen, schon sehr früh Planogramme eingesetzt wurden diese über das breite Filialnetz synchron zu halten.
In einem stationären Handel mit einem hochgradig dynamischen und volatilen Sortiment, wie dem Modehandel, gibt es solche Planogramme aus historischen Gründen nur bei den großen Handelskonzernen und für kleinere Händler ist es dabei ohne automatische Standorterfassung nicht einmal möglich die Platzierungsmerkmale zu erheben.
Dabei ist die Relevanz der Positionierung ist dabei, besonders im LEH, in zahlreichen Studien als bedeutsamer Faktor auf den Absatz bestätigt worden[8] [9] und einzig der Preis im Marketing-Mix-Konstrukt hat eine höhere Auswirkung[10][11].
Dieser hohe Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittelständischen Händlern zusammen mit der Abwesenheit von verfügbaren oder einsetzbaren Lösungen zur Unterstützung oder Automatisierung der Produktplatzierungsentscheidungen ist die diesem Projekt zugrundeliegende Motivation.
[1] H.D.e.V. Zahlenspiegel 2018. 2018
[2] S.B. Unternehmen, Beschäftigte, Umsatz und weitere betriebs- und volkswirtschaftliche Kennzahlen im Einzelhandel: 2019 https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Grosshandel-Einzelhandel/_inhalt.html
[3] Ahlert, D., P. Kenning, and C. Brock, Die Präsentationspolitik, in Handelsmarketing. 2018, Springer. p. 303-316.
[4] Picot, A.J.D.B., Transaktionskosten im Handel. 1986(27, Be): S. 1-16.
[5] Kinast, J. (2019): Immer mehr kleine Läden sterben aus. https://www.wz.de/nrw/einzelhandel-in-deutschland-warum-immer-mehr-kleine-laeden-aussterben_aid-38322921
[6] Borden, N. H. (1964). „The concept of the marketing mix.“ Journal of advertising research 4(2): 2-7.
[7] Weber, F. and R. Schütte „State-of-the-art and adoption of artificial intelligence in retailing.“ Digital Policy, Regulation and Governance; Weber, F. and R. Schütte (2019). „A Domain-Oriented Analysis of the Impact of Machine Learning—The Case of Retailing.“ Big Data and Cognitive Computing 3(1): 11.
[8] Bezawada, R., et al. (2009). „Cross-category effects of aisle and display placements: a spatial modeling approach and insights.“ Journal of Marketing 73(3): 99-117 oder siehe: https://www.absatzwirtschaft.de/wie-das-display-design-im-einzelhandel-den-absatz-foerdert-80887/
[9] Van Nierop, E., et al. (2008). „Interaction between shelf layout and marketing effectiveness and its impact on optimizing shelf arrangements.“ Marketing Science 27(6): 1065-1082.
[10] Marn, M. V., et al. (2004). The Price Advantage, Wiley.
[11] Kari, M., et al. (2019). „Datengetriebene Entscheidungsfindung aus strategischer und operativer Perspektive im Handel.“ HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik.